10. Rostocker Abwassertagung

Wege und Werkzeuge für eine zukunftsfähige Wasserwirtschaft im Norddeutschen Tiefland

Eröffnung der Tagung durch Prof. Jens Tränckner

Am 8. November 2016 veranstaltete die Professur für Wasserwirtschaft mit Unterstützung der EURAWASSER Nord GmbH die 10. Rostocker Abwassertagung.

Begrüßung

Im großen Hörsaal der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät begrüßte Herr Prof. Jens Tränckner die etwa 130 Teilnehmer, Referenten, Gäste und Aussteller.

Zur Einstimmung auf die Veranstaltung erläuterte Prof. Tränckner die besonderen Herausforderungen der Wasserwirtschaft im norddeutschen Tiefland, für welche im Rahmen der Tagung sollen Lösungswege aufgezeigt und diskutiert werden sollten. Er verwies dabei unter anderem auf das kleinteilige und weit verzweigte Gewässernetz, gekoppelt mit geringem Gefälle und oft hohen Grundwasserständen und die damit verbundenen engen hydraulischen und hydrologischen Interaktionen aller Teilsysteme. Gegenüber anderen Regionen resultieren stoffliche Belastungen der Siedlungsentwässerung vor allem aus der hier vorherrschenden Trennkanalisation mit vielen Niederschlagswassereinleitungen aber zum Teil auch aus kleinen Kläranlagen ohne Anforderungen an die Nährstoffeliminierung. Weiterhin ging Herr Tränckner auf differenzierte demographische und saisonale Entwicklung ein, welche zum Teil erhebliche Spreizungen des Abwasseranfalls mit entsprechenden Konsequenzen für Netze, Pumpstationen und Kläranlagen. Daneben besteht vor allem in den Küstenstädten ein hoher Siedlungsdruck mit Nachverdichtung im innerstädtischen Bereich und angesichts der Bevölkerungsprognosen erstaunlich offensiven Neuerschließungsplänen. Weiterhin deutete Herr Tränckner noch erheblichen Handlungsbedarf bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie an und verwies abschließend auf die Tagungsbeiträge, welche für viele der genannten Themen Lösungsansätze aufzeigen sollen.

Grußworte des Ministeriums

Frau Ute Hennings, die Leiterin der Abteilung - Wasser und Boden des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern eröffnete die Tagung mit einem ausführlichen Grußwort. Hierin beglückwünschte Sie die Fakultät zum neu geschaffenen Bachelorstudiengang „Umweltingenieurwissenschaften“, welcher den bereits existierenden Masterstudiengang untersetzt. Mit Bezug auf das Thema der Veranstaltung verwies Frau Hennings auf seit 1991 umgesetzten Maßnahmen im Trink- und Abwasserbereich mit einem Gesamtvolumen von ca. 2,8 Mrd. Euro. Davon ausgehend erläuterte die Strategie des Ministeriums zur Bewältigung künftiger Herausforderungen und ging dabei insbesondere auf Klimawandel, Mikroschadstoffe, Klärschlamm und Phosphor als Eutrophierungsparameter ein. Zum Abschluss bat Frau Hennings die Anwesenden, Ihr Fachwissen nicht nur in der täglichen Praxis zu nutzen sondern auch aktive Mitarbeit in Arbeitsgruppen zur Erarbeitung zukunftsfähiger Lösungen einzusetzen.

v.l.n.r: H.Hoche (EWN), B.Richter (UR WW), J.Tränckner (UR WW), U.Hennings (Ministerium f. Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz)

Vortragsblock 1

Der erste Vortragsblock widmete sich schwerpunktmäßig der weiteren Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Zunächst stellte Herr Kohlhas, der Abteilungsleiter Wasser vom Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG), die Anforderungen an die Gewässergüte unter der Frage: „Wie viele Nährstoffe vertragen unsere Gewässer?“ vor. Gegenwärtig erreichen nur 3% der Fließgewässer und 18% der Seen in MV den guten ökologischen Zustand, aber keines der Küstengewässer. Eine wesentliche Ursache hierfür sind trotz der erreichten Reduzierungen die Nährstoffeinträge. Hinsichtlich der Emissionsquellen zeichnete Herr Kohlhas für die Parameter Stickstoff und Phosphor ein differenziertes Bild. Gemäß einer im Auftrag des Landes MV durchgeführten Bilanzierung ist die Landwirtschaft mit 84% der Gesamtfracht Hauptemittent bei den Stickstoffeinträgen. Bei Phosphor stammen aber in Summe 35% der Fracht aus der Siedlungsentwässerung, während nur 24% direkt der Landwirtschaft zugeordnet werden können. Weitere 24% werden über den Grundwasserpfad eingeleitet, wobei der tatsächliche geogene Anteil nicht eindeutig quantifizierbar ist. Durch die HELCOM wurde dem Land MV ein anteiliges Reduktionsziel von 60 t Phosphor pro Jahr zugewiesen. Zu dessen Erreichung und als Weg zur Erreichung der WRRL-Ziele bis 2021 wurde ein „Diätplan“ zur Minderung der Stoffeinträge vorgestellt. Neben einer differenzierten Verbesserung der P-Elimnierung auch in Kläranlagen bis Größenklasse 3 wird eine Minderung der diffusen Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft angestrebt. Hierzu wurde ein differenziertes Konzept vorgestellt (verfügbar im Downloadbereich des LUNG). Herr Kohlhas mahnte in diesem Zusammenhang aber auch die zügige Verabschiedung der Novellierung zur Düngemittelverordnung an. Die bisherigen Bewertungen und Maßnahmen zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie fokussieren auf die berichtspflichtigen Fließ- und Standgewässer. Gerade im urbanen Raum existieren aber auch zahlreiche kleinere Gewässersysteme, welche wichtige ökologische Funktionen erfüllen, deren Zustand aber nicht über den Ansatz eines naturnahen Referenzustandes sinnvoll zu bewerten ist. Dr. Thiele (Geschäftsführer der Institut biota GmbH) präsentierte für diese Gewässer ein neues bioindikatives Bewertungsverfahren, welches im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes KOGGE am Beispiel der Hansestadt Rostock erarbeitet wurde. Zur differenzierten Bewertung von Gewässer, Ufer und Umland wurden bioindikative Organismen aus Gruppen Makrozoobenthos, Makrophyten und Lepidopteren ausgewählt und nach Taxa und Abundanz an 60 Probestellen mit unterschiedlichem Hemerobiegrad im Stadtgebiet der Hansestadt Rostock aufgenommen. Durch Einordnung der aufgenommen, bioindikativen Arten in Gilden mit ähnlichem ökologischen Anspruch konnte ein Bewertungsindex (Gewässerurbanitätsindex) entwickelt werden. Im Ergebnis wird nicht eine Abweichung gegenüber einem im urbanen Kontext meist illusorischem Referenzzustand sondern ein Grad der ökologischen Funktionalität des Gewässers bestimmt. Im Umkehrschluss sollen sich daraus auch Hinweise für zielführende Maßnahmen zur Verbesserung der ökologischen Funktionalität ableiten lassen. Dr. Koegst (Universität Rostock, Professur für Wasserwirtschaft) zeigte in seinem Vortrag „Boot-Monitoring – räumlich hoch aufgelöste chemische und physikalische Zustandsbewertung von Fließgewässern“ erste Ergebnisse eines laufenden BMBF-Forschungsprojektes. Ziel ist es, Qualitäts-, Quantitätsparameter und geometrische Größen eines Fließgewässers mittels online-Sonden von einem Boot kontinuierlich über den Fließweg zu erheben. Das Untersuchungsgebiet der Rostocker Forscher ist ein Abschnitt der Tollense – ein typisches eutrophes Gewässers des norddeutschen Tieflandes mit langsamer Fließgeschwindigkeit und starken Bewuchs von Wasserpflanzen. Schwerpunkt des ersten Projektjahres war die Entwicklung einer geeigneten Messtechnik und Befahrungsmethodik. Neben den üblichen physiko-chemischen Parametern umfasst das System eine UV-VIS-Sonde (u.a. zur Messung von TS, Nitrat, Chlorophyll A, TOC) sowie einen frei programmierbaren Analysator, welcher zur Messung von Ammonium und Phosphat auch im niedrigen Konzentrationsbereich eingesetzt wird. Parallel wird das Gewässerprofil und der Durchfluss mittels ADCP-Messung erfasst. Zusätzlich wird durch Einsatz eines Echolots die Sedimentstruktur aufgelöst. Die bisher dargestellten Ergebnisse verschiedener Messfahrten zeigen vorerst die Funktion der Messtechnik. Gezielte Auswertungen, z.B. zur räumlich differenzierten Frachtentwicklung stehen noch aus. Darauf aufbauend soll beispielhaft ein Gewässermodell aufgestellt und kalibriert werden. Das Projekt wird flankiert durch eine Dissertation mit dem Ziel der messtechnischen Erfassung der diffusen Nährstoffeinträge.

Vortragsblock 2

Der zweite Vortragsblock widmete sich Lösungswegen zur Bearbeitung der anstehenden Herausforderungen, sowohl im Bereich der Siedlungsentwässerung als auch zur Reduzierung der Gewässerbelastung im ländlichen Raum. Zu Beginn stand der gemeinsame Vortrag von Herrn Hoche (Eurawasser Nord GmbH) und Herrn Richter (Universität Rostock, Professur für Wasserwirtschaft) mit dem Thema „Zwischen Überflutungsschutz und Gewässerentwicklung – gemeinsame hydraulische Bewertung von Kanalnetz und Einleitgewässer“. Die Arbeiten sind eingebettet in das BMBF-Projekt KOGGE. Hier werden neben der Entwässerungsfunktion die ökologische und die soziokulturelle Funktion der Gewässer betrachtet. Die Entwässerungsfunktion der Fließgewässer muss gerade im Tiefland immer im Zusammenhang mit dem Kanalnetz betrachtet werden, trotz unterschiedlicher Regelwerke und Zuständigkeiten. Durch das geringe Geländegefälle kann es bei stärkeren Niederschlagsereignissen zu Rückstausituationen in das Kanalnetz aber auch zu schwer abschätzbaren Überlagerungen der Abflusswellen aus dem natürlichen Einzugsgebiet und den verschiedenen Niederschlagswassereinleitungen kommen. Zur Untersuchung dieser Phänomene wurde das Konzept der bilateral gekoppelten Modellierung von Kanalnetz und Fließgewässer am Beispiel des Schmarler Baches vorgestellt. Die Untersuchungen zeigen, dass die Herausforderung nicht nur in der Modellierung selbst liegt sondern auch in der Identifizierung kritischer Niederschlagsereignisse und ihres zeitlichen Verlaufs. Herr Kotzbauer (Rotaria Energie- und Umwelttechnik GmbH) beleuchtete in seinem Vortrag das Thema „Umgang mit Niederschlagswasser auf Biogasanlagen“. In einer fundierten Einleitung erläuterte er Aufbau und Betrieb von Fahrsiloanlagen und den daraus resultierenden Anfall sehr unterschiedlicher Wasserteilströme. Grundsätzlich fallen in Fahrsiloanlagen zwei Arten von Abwässer an: hochbelastetes Sickerwasser aus dem Gärsubstrat und große Mengen Niederschlagswasser von den versiegelten Flächen. Herr Kotzbauer erläuterte die verschiedenen Möglichkeiten, Sickerwasser und Niederschlagswasser getrennt zu fassen und zeigte, dass eine Behandlung des Niederschlagswassers bis zur Einleit- oder Versickerungsfähigkeit nur gelingen kann, wenn diese Trennung konsequent umgesetzt wird. Bisher ist die wasserrechtliche Situation für Niederschlagswasser von Biogasanlagen unklar und aktuell Bearbeitungsgegenstand einer LAWA Ad-hoc Arbeitsgruppe. Im Anschluss stellte Herr Kotzbauer das BMBF-Projekt ProBeneBio vor, in welchem, gemeinsam mit der Universität Rostock, Bemessungsgrundsätze zur Niederschlagsabwasserbehandlung für Biogas- bzw. Fahrsiloanlagen erhoben werden sowie ein Prototyp zu Niederschlagswasserbehandlung entwickelt und großtechnisch getestet wird. Erste Ergebnisse der nutzungsabhängig differenzierten Flächenbelastung sowie der ereignisabhängigen Niederschlagswasserbelastung wurden vorgestellt. Weiterhin wurden die vorgesehenen Verfahrenskonzeptionen sowie die bereits konstruierte Versuchsanlage erläutert. Abgerundet wurde der zweite Vortragsblock durch den Vortrag des Gastgebers Prof. Tränckner mit der Fragestellung „Intensivierung des Phosphorrückhalts kleiner Kläranlagen in Mecklenburg-Vorpommern – Was ist wo sinnvoll?“. Herr Tränckner stellte hier die Ergebnisse einer Studie im Auftrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern vor. Veranlassung ist die hohe Zahl von Kläranlagen der Größenklasse 1 bis 3 (in MV ca. 550), für welche in Abwasserverordnung keine Mindestanforderungen für Phosphor definiert sind. Diese Anlagen emittieren in MV ca. 60% der P-Gesamtfracht aller Kläranlagen. Je nach konkreter Einleitsituation kann auch die P-Fracht einer einzelnen Anlage auch für das betreffende Gewässer relevant sein. Herr Tränckner erläuterte die verschiedenen Möglichkeiten zur Verbesserung der P-Elimination und erläuterte insbesondere die weitgehend kostenneutralen betrieblichen Optimierungsmöglichkeiten. Anschließend stellte er ein Priorisierungsverfahren vor, um Anlagen mit erhöhten Anforderungen an die P-Eliminierung zu identifizieren. Dieses kombiniert immisions- und emissionsbasierte Kriterien mit einer Kosten-Nutzen-Bewertung.

Vortragsblock 3

Der Schwerpunkt des dritten Vortragsblocks war die Vorstellung neuer Regelwerke der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA). Herr Prof. Uhl von der Fachhochschule Münster präsentierte das neue DWA-A 102, das sich derzeit im Gelbdruckverfahren, unter der Überschrift „Niederschlagsabflüsse aus Siedlungsgebieten“, befindet. Eingang erläuterte Herr Uhl die umfassende Umstrukturierung des DWA-Regelwerkes im Bereich der Siedlungsentwässerung und die Einordnung des DWA-A 102 als künftiges zentrales Arbeitsblatt zum Umgang mit Niederschlagswasser aus Emissionssicht. Anschließend erläuterte er insbesondere die Konzepte für die Trennkanalisation. Mit der Einführung eines „natürlichen“ Ziel-Wasserhaushalts nach der Erschließung, der Einführung des neuen Leitparameters AFS 63 (Feinfraktion der abfiltrierbaren Stoffe < 63 μm) und den vorgeschlagenen Rechenwerten für verschiedene Flächenkategorien geht das Arbeitsblatt weit über bisherigen Emissonsstandards hinaus und wird die Praxis der Siedlungsentwässerung deutlich beeinflussen. Dies zeigten auch die anschließenden Fragen und Diskussionsbeiträge aus dem Auditorium. Als weiteres, im Gelbdruck befindliches Arbeitsblatt wurde das DWA-A 113 „Hydraulische Dimensionierung und Leistungsnachweis von Abwasserdrucksystemen“ von Prof. Eckstädt vorgestellt. Das Arbeitsblatt gilt für die Ableitung von Schmutz-, Regen- und Mischwasser in Druckentwässerungsleitungen sowie in Freigefälleleitungen. Verschiedene Systemvarianten und Anlagenkonfigurationen wurden aufgezeigt und die hydraulischen Berechnungsansätze erläutert. Außerdem wurde das Thema Abwasserpumpen angerissen. Als wichtige Arbeitshilfe für Planer und Betreiber enthält das Arbeitsblatt einen umfangreichen Anhang mit Hinweisen zur Bemessung, Gestaltung und Betrieb sowie Rechenbeispiele. Den letzten Fachbeitrag der Tagung hielt Herr Rinas (Universität Rostock, Professur für Wasserwirtschaft) zum Thema „Energieeffizienter Abwassertransport vs. Sedimentationsrisiko – Wo liegt die Grenze?“. In vorangegangenen Forschungsprojekten wurden bereits erfolgreiche Regelkonzepte für einen energieoptimalen Betrieb von Abwasserpumpwerken entwickelt, welche aber in relativ niedrigen Fließgeschwindigkeiten zwischen 0,2 und 0,3 m/s resultieren. Zur Vermeidung möglicher Ablagerungen entwickelte Herr Rinas eine Methodik, um die fallspezifisch erforderliche Mindestfließgeschwindigkeit für den ablagerungsfreien Transport von Abwasser labortechnisch ermitteln zu können. Durch vergleichende Messung des Feststofftransports innerhalb einer 8 km langen Druckleitung mit einem eigens entwickelten Transportmodell konnte die Übertragbarkeit der Labormessungen auf den technischen Maßstab validiert werden. Die anschließende Diskussion zeigte die hohe Sensibilität der Betreiber beim Thema Ablagerungen in Drucksystemen. Zum Abschluss der Veranstaltung dankte Prof. Tränckner herzlich allen Referenten, Ausstellern und dem Publikum für die spannenden Vorträge und die angeregten Diskussionen, verbunden mit der Ankündigung der nächsten Abwassertagung in zwei Jahren. Die Beiträge sind als Tagungsband über die Adresse der Professur zu beziehen.