Integrierter Pflanzenschutz in der landwirtschaftlichen Praxis – Akzeptanz und Umsetzung am Beispiel von Schadschwellen für Insekten in Raps und Getreide

Lukas Schulte-Filthaut, 2023


Zusammenfassung
Der integrierte Pflanzenschutz (IPS) und seine acht allgemeinen Grundsätze sind als allgemeingültiger Leitfaden zur Umsetzung eines nachhaltigen Pflanzenschutzes auf landwirtschaftlichen Betrieben gedacht. Sie sind vorbeugende und aktiv eingreifende Methoden zur bedarfsgerechten Verminderung des Schädlingsdrucks an den Kulturpflanzen und tragen damit zur Ertrags- und Qualitätssicherung bei. Diese Methoden sollen den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß, und damit das Risiko von negativen Umwelt- und Gesundheitseffekten reduzieren. Der IPS zeichnet das derzeitige Idealbild des Pflanzenschutzes.

Eine nähere Betrachtung der Umsetzung des IPS in Deutschland hat bisher nicht stattgefunden. Sie erfolgte für den nordwestdeutschen Raum im Rahmen der vorliegenden Dissertation auf 300 konventionellen Betrieben im Herbst 2019. Insbesondere Erfolgskontrollen der Pflanzenschutzmittelanwendung, zielartenspezifischer Pflanzenschutzmitteleinsatz und Strategien der Resistenzvermeidung werden von den Betrieben als angewendet genannt. Feldkontrollen vor Pflanzenschutzmaßnahmen, z.B. auf Erreichen der Schadschwellen, sowie der Einsatz nicht-chemischer Methoden werden hingegen noch nicht als umfangreich praktiziert angegeben. Über weiterentwickelte, z.B. digitale Methoden (Apps, KI) und darauf angepasste Beratung könnte die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit und damit die Adoption von IPS-Methoden erhöht werden. Dabei sollten mögliche Risiken und Nutzen des IPS für landwirtschaftliche Betriebe einfacher wahrnehmbar werden.

Die Adoptionsforschung zum IPS hat in Deutschland bisher kaum die Frage adressiert, wie auf landwirtschaftlichen Betrieben die Praktikabilität und Umsetzbarkeit konkreter IPS-Maßnahmen bewertet und gehandhabt werden. 2018 wurden 32 landwirtschaftliche Betriebe in NRW in einem qualitativen Forschungsansatz mittels leitfadengestützter Interviews dazu befragt. Besonders Zeitaufwand, arbeitswirtschaftliche wie auch arbeitsorganisatorische Aspekte und der geringe Kostenfaktor von Insektiziden sind Hemmnisse für die Anwendung des IPS. Wahrgenommene Risiken, der wahrgenommene Nutzen und die Benutzerfreundlichkeit in Kombination mit der eigenen Erfahrung prägen eine Einstellung zum IPS. Diese entscheidet letztlich über Anwendung oder Ablehnung. Dabei können die von Landwirten wahrgenommenen und in Versuchen ermittelten Risiken der IPS-Anwendung unterschiedlich sein.

Für den Bereich der vorbeugenden Methoden und dem Einsatz von Schadschwellen fehlen nach Angaben der befragten Landwirte standortspezifische, praxistaugliche Handreichungen, und wirksame, vorbeugenden Bekämpfungsmöglichkeiten von Schädlingen, Schaderregern und Unkräutern. Dieses Fehlen behindert eine weitere Umsetzung der acht allgemeinen Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes. Es sind weiterhin regionalspezifische Forschungen und Tests notwendig, um diese Lücke zu schließen.

Innerhalb des IPS ist die Überwachung von Schadorganismen im Feld die Komponente, um zu beurteilen, ob die Schadschwelle überschritten wurde. Die Überwachung erfordert jedoch Zeit und Wissen. Die Anwendung von Schadschwellen für Schadinsekten wurde über zwei Jahre auf 24 (2018-2019) bzw. 17 (2019-2020) konventionell bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betrieben in NRW durchgeführt. Es wurden die Auswirkungen auf den Zeitaufwand für Kontrollen, die Häufigkeit von Insektizidbehandlungen und die Wirtschaftlichkeit im Vergleich zur betriebsüblichen („business as usual“) Praxis erfasst. Betrachtet wurden Winterweizen, Wintergerste und Winterraps. Die Landwirte verbrachten deutlich mehr Zeit (42 min ha-1 / Vegetationsperiode; 21 min-1 Schlag / Feldkontrolle) mit der Überwachung von Schadinsekten im Winterraps als in Winterweizen (16 min ha-1 / Vegetationsperiode; 18 min-1 Schlag /Feldkontrolle) oder Wintergerste (19 min ha-1 / Vegetationsperiode; 21 min-1 Schlag /Feldkontrolle).

Der Einsatz von Insektiziden im Raps wurde durch die Feldkontrollen signifikant um 42 % reduziert. Bei den Getreidekulturen verringerte sich der Einsatz von Insektiziden um 50 %. Dieser Wert ist jedoch nicht signifikant. Die Anwendung von Schadschwellen nach IPS und das daraus abgeleitete Handeln bezüglich Insektiziden wirkte sich nicht auf die Erträge aus. Wirtschaftlich gesehen können die Kosten für die Überwachung nur gedeckt werden, wenn die Arbeitskosten und die Erzeugerpreise niedrig und die Kosten für Insektizide hoch sind. Die Schadschwellen können dazu beitragen, die politischen und ökologischen Ziele der Insektizidreduzierung mit dem ökonomischen Ziel der Produktionssicherheit zu verbinden. In Zukunft sollten Zeit- und Kostenaufwand für die Überwachung durch intelligente Lösungen und Instrumente reduziert werden. In Teilen erfolgt dies schon durch Apps, Prognosemodelle und KI.

Der IPS fand Anwendung, wenn er direkt mit chemischem Pflanzenschutz zusammentraf. Die betriebsindividuellen Handlungen beruhen auch darauf, dass die Alternativen zu chemischen Pflanzenschutzmitteln (Insektiziden) für die Betriebe nicht (lohnend) verfügbar sind. Die Hemmung der Anwendung des IPS ist multifaktoriell geprägt. Neben allgemein organisatorischen Gründen führen auch wirtschaftliche Einflüsse zu Skepsis gegenüber den Schadschwellen und hemmen damit deren Anwendung. Die Schadschwellen werden den praktischen Anforderungen der Landwirtschaft nicht gerecht. Landwirtschaftliche Betriebe sollten ein erhöhtes Eigeninteresse an der Fokussierung auf den IPS und seine Methoden entwickeln, gestützt durch mehr Demonstrationsvorhaben seitens der Offizialberatung. Das Interesse kann durch mehr Einbindung der Praxis in die Forschung gefördert werden. Gleichzeitig müssen die bestehenden Schadschwellensysteme überprüft und hinsichtlich ihrer Terminologie deutlicher voneinander abgegrenzt und kommuniziert werden. Eine Neudefinition durch Ergänzung weiterer Einflussfaktoren (z.B. Biodiversität) und Abgrenzung gegenüber Marktfaktoren könnte eine höhere Praxisbedeutung mit sich bringen.