NATURE Artikel zeigt, dass Pflanzen Europas Berggipfel immer schneller erobern

Die Klebrige Primel (Primula glutinosa), eine der neu angekommenen Arten (Foto: Harald Pauli).
Am Hinteren Spiegelkogel (3424m), Ötztaler Alpen (Tirol) stieg die Artenzahl von 15 (1953), 19 (1992) auf 37 im Jahr 2014
Seit dem frühen 19. Jahrhundert haben Botaniker Berge erklommen, um die Gipfelflora zu erforschen. Ihre Daten ermöglichen uns heute festzustellen, wie sich die Flora seither auf jenen Bergen verändert hat. Im Bild: Professor Carl Schröter (rechts) um 1920 mit Kollegen während einer Botanik-Exkursion im Gebirge. Bildquelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv.

Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Beteiligung des Rostocker Forschers Dr. Gerald Jurasinski zeigt in einem Artikel in der Zeitschrift Nature (https://rdcu.be/KC4j), dass die Artenzahlen auf europäischen Berggipfeln über die letzten mehr als 100 Jahre zugenommen haben und dass diese Zunahme sich in den letzten Jahrzehnten deutlich beschleunigt hat. Zudem gelang den Forschern der Nachweis, dass tatsächlich die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen dafür verantwortlich sind.

Heute wachsen auf Berggipfeln deutlich mehr Pflanzenarten als noch vor 100 Jahren. Viele Studien haben bereits Hinweise darauf geliefert, dass dies mit der Erwärmung des Klimas zusammenhängen könnte. Doch ein direkter Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und zunehmender Artenzahl konnte bisher nicht grossflächig nachgewiesen werden.

Dies ist nun Forschenden um Manuel Steinbauer von der Universität Aarhus (jetzt Professor in Erlangen) und Sonja Wipf vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF gelungen, zusammen mit Wissenschaftlern aus elf Ländern, darunter Dr. Gerald Jurasinski von der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock. Dazu nahmen sie die Vegetation auf Berggipfeln in ganz Europa unter die Lupe. Insgesamt erhoben sie den Bestand der Arten auf 302 Gipfeln in den Alpen, den Pyrenäen, den Karpaten sowie in schottischen und skandinavischen Gebirgen. Ihre Aufzeichnungen verglichen die Forschenden mit älteren - teils historischen - Vegetationsaufnahmen derselben Gipfel. Dadurch entstand ein einmaliger Datensatz, der eine Zeitspanne von 145 Jahren umfasst.

Beschleunigte Reaktion auf den Klimawandel

Die Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der Arten auf europäischen Gipfeln generell zugenommen hat. Zudem erfolgte dieser Anstieg in den letzten Jahrzehnten immer schneller. Grund dafür ist die Klimaerwärmung, die sich ebenfalls immer mehr beschleunigt hat: Je stärker die Erwärmung in der Zeitspanne zwischen zwei Vegetationsaufnahmen auf einem Gipfel war, desto mehr hatte auch die Zahl der Pflanzenarten zugenommen. "Es ist das erste Mal, dass man eine solche beschleunigte Reaktion auf den Klimawandel für alpine Lebensräume nachweisen kann", sagt SLF-Forscherin Wipf. Bisher kennt man eine derartige Beschleunigung von Prozessen - verursacht durch die immer schnellere Klimaerwärmung - vor allem von unbelebten Systemen wie beispielsweise Gletschern. Die Ergebnisse der Studie haben die Forschenden nun in der renommierten Fachzeitschrift "Nature" publiziert.

Was sind die Konsequenzen?

Durch die gestiegenen Temperaturen gelingt es immer mehr wärmeliebenden Arten aus tieferen Lagen, in höhere Regionen vorzudringen, in denen sie früher nicht überleben konnten. Sie sind im Durchschnitt grösser und dadurch konkurrenzstärker als die angestammten Gipfelbewohner. Diese laufen deshalb auf längere Sicht Gefahr, verdrängt zu werden. Wie sich die Artenzusammensetzung auf Gipfeln mit dem Klimawandel langfristig verändert, wird sich jedoch erst in den nächsten Jahrzehnten zeigen.

Kontakte