Analyse der Beziehung von vorbeugendem und chemischem Pflanzenschutz in Weizen und Raps anhand von Praxis-Daten

Jana Bürger, 2010


Zusammenfassung

Notwendiges Maß / Zum Verhältnis vorbeugender Pflanzenschutz – chemischer Pflanzenschutz
Die geringsten Behandlungsintensitäten mit chemischen Pflanzenschutzmitteln sind, wie im Konzept des Integrierten Pflanzenschutzes (IPS) niedergelegt, durch eine kombinierte Anwendung von Schadschwellenkonzepten, von optimierten, d.h. meistens reduzierten Dosierungen und von vorbeugenden Maßnahmen zu erreichen (Kap. 2). Die Anwendung reduzierter Aufwandmengen wird in der Praxis nicht durch häufigere Behandlungen ausgeglichen, damit wird bestätigt, dass die situationsbezogene Optimierung tatsächlich zu einer Reduzierung des Gesamtaufwands führt (in Kap. 3). Die Aufwandmengen werden unterschiedlich stark reduziert, die Reduktionen sind häufiger und höher in Winterweizen als in Winterraps und unterscheiden sich auch zwischen den Pflanzenschutzmittel-Gruppen (Kap. 3 und Kap. 4). Bei Nutzung vorbeugender Anbau-Maßnahmen werden weniger chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt (Kap. 5 und Kap. 6).

Die Veränderung einer einzelnen Maßnahme im Anbausystem erfordert oft eine weitreichende Umstellung im ganzen Anbaumanagement. IPS-Systeme sind insgesamt von einer geringeren Anbau- Intensität gekennzeichnet, gemessen an Rohstoff- und Energieeinsatz, meist aber auch an den Erträgen. Dass diese Anbausysteme trotzdem wirtschaftlich sind, konnte in den 1990ern Jahren durch verschiedene Systemversuche gezeigt werden. Bei wesentlich geringeren Pflanzenschutz- Aufwendungen wurden in den Varianten mit Integriertem Pflanzenschutz Gewinne erzielt, die zwischen 5% höher und 18% niedriger als in den konventionellen Varianten lagen (Kap. 2). Da der Integrierte Pflanzenschutz vor allem anfänglich mit höherem Aufwand für Monitoring, Informationsbeschaffung und Bekämpfungsentscheidungen verbunden ist, sind weiterhin Anreize notwendig, um Landwirte zu einer stärkeren Anwendung zu motivieren. Forschungs- aber auch Kommunikationsbedarf besteht z.B. zu den Auswirkungen bei der Anwendung einzelner IPS-Elemente (Nazarko et al., 2005; Steinmann, 2005; Macé et al., 2007).

Variabilität des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes
Die durchgeführten Auswertungen bestätigen die hohe Variabilität des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes auf allen betrachteten Ebenen. Insgesamt betrachtet schwankte die Anwendungsintensität am stärksten im Bereich der Fungizide und Insektizide, weniger variabel wurden Herbizide eingesetzt. Die Behandlungsintensität unterschied sich nicht nur zwischen den Erntejahren, zwischen Regionen und verschiedenen Betrieben, sondern selbst zwischen den einzelnen Schlägen eines Betriebes (Kap. 3-6). Diese Beobachtung deckt sich mit der zeitlichen und räumlichen Dynamik von Schaderregerauftreten und –entwicklung, aber auch mit dem Vorhandensein relativ kleinräumiger Unterschiede im Unkrautaufkommen, das z.B. durch die Bodenbedingungen hervorgerufen sein kann.

In Kapitel 4 konnte für Winterrapsschläge gezeigt werden, wie sich die regionale und saisonale Schaderregersituation in den Behandlungsintensitäten mit Insektiziden und teilweise mit Herbiziden widerspiegelten; weniger deutlich war das bei den Fungiziden.

Behandlungsmuster
In den vorliegenden Daten bestand nur ein geringer Zusammenhang zwischen Behandlungshäufigkeit und Behandlungsindex. Die Behandlungsintensität wurde stärker davon bestimmt, wie viele verschiedene Präparate zum Einsatz kamen, als davon, wie oft behandelt wurde (Kap. 3). Die Analyse verwendeter Tankmischungen (Kapitel 3) und Behandlungsstrategien (Kapitel 4 und 6) zeigte deutliche betriebsspezifische Besonderheiten: Tankmischungen werden in sehr unterschiedlichem Umfang angewendet. Im Winterweizen wurden bis zu 7 Präparate gemischt, auch wenn der Großteil der Behandlungen mit 1 bis 4 Präparaten erfolgte.

Manche Betriebe verwenden sehr ähnliche Spritzfolgen für alle Schläge im gleichen Jahr, während andere eher schlagspezifisch behandeln. In einigen Betrieben ähneln sich die Aufwendungen in allen Jahren sehr, in anderen Betrieben weisen sie deutliche Unterschiede zwischen den Jahren auf. Ein schematisches Vorgehen könnte durch die Betriebsgröße bedingt sein, da eine höhere Anzahl von Schlägen weniger schlagspezifisches Monitoring und Entscheidungen zulässt. Außerdem zeigten sich betriebsspezifische Vorlieben für bestimmte Behandlungen, z.B. den Insektizid-Einsatz im Winterweizen.

Einfluss verschiedener Faktoren-Komplexe, insbesondere des Anbaumanagements
Die Betriebsspezifik des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes wurde auch durch die multivariaten Analysen bestätigt. Die Behandlungsmuster mit chemischen Pflanzenschutzmitteln im Winterweizen waren hauptsächlich durch den Betrieb und wesentlich weniger durch Anbaumanagement und Witterung beeinflusst. (Kapitel 5) Dabei traten hohe Überschneidungen im Einfluss der Komplexe Betriebseigenschaften und Witterung (zurückzuführen auf die regionale Lage der Betriebe) bzw. Betriebseigenschaften und Anbaumanagement auf. Die wichtigsten Anbau-Maßnahmen, die zu Unterschieden in den Behandlungsmustern führten, waren Saatzeitpunkt, Höhe der Stickstoff- Düngung, Sorten-Anfälligkeit gegenüber Mehltau, sowie Form der Bodenbearbeitung. Die Kombinationen der Anbau-Maßnahmen bildeten einen Gradienten der Anbauintensität ab, bei dem intensiver geführte Anbausysteme auch mit höherem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verbunden waren. Anbausysteme mit IPS-typischen Elementen wurden eher auf weniger leistungsfähigen Standorten angewendet.

Für die Einsatzintensität der einzelnen Pflanzenschutzmittel-Gruppen staffelte sich die Bedeutung der Faktorenkomplexe wie folgt (Kapitel 6).

Behandlungsindex Fungizide: Betrieb/Region > Jahr (Witterung) > Anbaumanagement,

Behandlungsindex Herbizide: Anbaumanagement > Betrieb >> Jahr (Witterung),

Behandlungsindex Wachstumsregler: Anbaumanagement = Betrieb = Jahr (Witterung).

Die Anbaufaktoren mit dem größten Einfluss auf die Höhe des Behandlungsindex waren wiederum die Sorteneigenschaften, sowie die Vorfrucht in Zusammenhang mit Bodenbearbeitung und Saatzeit. Die Anbauintensität, die in dieser Analyse durch die Qualitätsstufe des Weizens abgebildet wurde, hatte demgegenüber geringeren Einfluss auf die Gruppen-BIs. Der Behandlungsindex unter verschiedenen Anbaufaktor-Kombinationen kann einen Anhalt für Reduktionspotenziale bieten. So unterschied sich zwischen einem Anbausystem ohne IPS-Elemente und einer Kombination vorbeugender Anbaumaßnahmen der Fungizid-BI um bis zu 1,2, der Herbizid-BI um 0,5-0,6 und der BI für Wachstumsregler um 0,5.

Ergebnisdiskussion
Die Ergebnisse der vorgestellten Analysen stehen weitgehend im Einklang mit vorhergehenden Untersuchungen zur Variabilität des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes im mehrjährigen Vergleich und zwischen Betrieben in unterschiedlichen Regionen, aber auch zur Variabilität des Auftretens verschiedener Schadorganismen. Viele Einzel-Zusammenhänge zwischen Anbaumaßnahmen und Schaderregern sind inzwischen sehr gut bekannt, selten untersucht wurden bisher resultierende Behandlungsintensitäten mit Pflanzenschutzmitteln.

Bestätigt wurden die Ergebnisse anderer Autoren

· zum starken Einfluss von Witterung und regionalen Bedingungen (auf Schaderregerauftreten bzw. Behandlungsnotwendigkeit), der außerdem oft den Effekt von Anbaumaßnahmen übersteigt (Bailey et al., 2001; Gladders et al., 2001; Müller, 2005; Koch et al., 2006; Wiik & Ewaldz, 2009),

· zur verringerten Intensität des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes oder des Schaderregerauftretens bei Verwendung vorbeugender Maßnahmen (Daamen et al., 1989; Nazarko et al., 2005; Kirkegaard et al., 2008; Chikowo et al., 2009),

· zur komplexen Wirkung und teilweisen Überlagerung vorbeugender Maßnahmen (Rolland et al., 2003; Savary et al., 2006; Gladders et al., 2007; Loyce et al., 2008),

· zur hohen Bedeutung betrieblicher sozio-ökonomischer Faktoren für die Pflanzenschutz-Intensität (Nieberg & Münchhausen, 1996; Hammond et al., 2006; Galt, 2008; Lamine et al., 2008),

· aber auch zu den großen betrieblichen Unterschieden in den Anwendungsmustern (Penrose et al., 1996; Macé et al., 2007; Oakley et al., 2007; Jørgensen et al., 2008).

Neu waren in der vorliegenden Arbeit einerseits die Separierung und Quantifizierung verschiedener Einfluss-Komplexe und die detaillierte multifaktorielle Analyse des Einflusses des Anbaumanagements auf die Behandlungsintensität. Andererseits erfolgte erstmals die Anwendung dieser Methoden auf die Praxis-Daten einer Reihe von Betrieben in Deutschland.